Papierblatt – Holocaust-Überlebende berichten

Daniel Chanoch

Vortrag am 10. Oktober 2016 in Calw, Deutschland

Im Jahr als Daniel Chanoch eingeschult wurde, brach gerade der 2. Weltkrieg aus. Doch die eigentliche Wende in seinem Leben kam mit dem Einmarsch der Deutschen in Litauen 1941. Jüdische Einrichtungen wie seine Schule wurden geschlossen, alle jüdischen Einwohner wurden ins KZ Kauen gebracht, bis auch dieses 1944 geschlossen und die Häftlinge auf andere Lager verteilt wurden. Die Spuren von Mutter und Schwester verloren sich im KZ Stutthof, auch der Vater kam im Holocaust ums Leben. Daniel Chanoch hatte, wie er es nennt »pures Glück«, dass er selbst gleich mehrere Säuberungsaktionen überstand, und als sein Leben in der Hand des KZ-Arztes Mengele lag, auch da einen guten Moment erwischte.

Kurzbiografie

Daniel Chanoch kam 1933 in Litauen als Kind einer alteingesessenen jüdischen Bauernfamilie zur Welt und wuchs in der jüdischen Gemeinde in Kaunas auf. Mit dem Einmarsch der Deutschen 1941 änderte sich alles. Die Familie musste wie alle anderen Juden in das Ghetto Kauen übersiedeln, das später in ein Konzentrationslager umfunktioniert wurde. Nach dessen Auflösung 1944 führte ihn sein Weg bis zum Kriegsende in zahlreiche Lager wie Kaufering, Mauthausen und auch Auschwitz. Daniel Chanochs Kindheit war von Hunger, Gewalt und Zwangsarbeit gekennzeichnet. Das Kriegsende erlebte er im österreichischen KZ Gunsrück. Von seiner Familie waren zu diesem Zeitpunkt nur noch er und sein Bruder Uri am Leben. Gemeinsam emigrierten die Brüder 1946 nach Haifa, wo sie ein neues Leben begannen. 60 Jahre später kehrte Daniel Chanoch mit seinen erwachsenen Kindern an die Stätten der verlorenen Kindheit zurück. Aus dieser Reise entstand der mehrfach ausgezeichnete Film »Pizza in Auschwitz«.

Inhaltsübersicht

00:00 - 01:42

Vorstellung von sich und seiner Motivation

Daniel Chanoch freut sich vor einer neuen Generation sprechen zu dürfen. Damit möchte er dazu beitragen, dass die Welt ein Stück besser wird, dass Solidarität und Demokratie wachsen.

Er wurde 1933 im Norden Litauens in eine alteingesessene Bauernfamilie geboren. Er war in verschiedenen Lagern seit er acht Jahre alt war. Mit zwölf Jahren wurde er 1945 aus einem Lager in Österreich befreit. 1946 wurde er auf ein Schiff, das nach Palästina fuhr, geschmuggelt.

01:42 - 04:06

Das Schicksal seiner Familie

Daniel Chanoch zeigt seinen Geburtsort Kaunas (Kovno, Kauen) und erzählt, dass sein Name in Litauen eigentlich Danielus Chanochas hieß. Zwischen den beiden Weltkriegen war Litauen eine Republik (Anm. Hrsg.: 1926 beseitigte A. Smetona durch einen Putsch die Verfassung der parlamentarischen Demokratie von 1922).

Der langjährige litauische Präsident Antanas Smetona hat den Juden in dieser Zeit erlaubt, eigene Schulen zu errichten, in denen die jüdischen Kinder in Hebräisch unterrichtet wurden.

Daniel Chanoch kam im August in Auschwitz an und arbeitete dort an der Rampe. Es war seine Aufgabe, das Hab und Gut der Ankömmlinge zum SS-Lager zu bringen. Sein Vater war in einem Arbeitslager in Bayern, und kam dann einen Monat später - im September - zur Vernichtung nach Auschwitz. Die Mutter und die Schwester von Daniel Chanoch starben im KZ Stutthof. Als einzige aus seiner Familie sind nur er und sein Bruder Uri, der 2015 starb, übrig geblieben.

04:06 - 07:40

Seine Schule – das Gymnasium Schwabes

Seine Schule war von jüdischen Offizieren der deutschen Armee im 1. Weltkrieg gegründet worden. Sie ging vom Kindergarten bis zum Gymnasium und unterrichtet wurde in Hebräisch. Auch bekannte Persönlichkeiten wie die Dichterin Leah Goldberg haben diese Schule besucht.

Ein Jahr war Daniel Chanoch auf dem normalen Gymnasium. Als Litauen im Zuge des von Ribbentrop und Molotow unterzeichneten Hitler-Stalin-Pakts der Sowjetunion zugeschlagen wurde, änderte sich das Schulleben. Die Kommunisten legten großen Wert auf die soziale Durchmischung. Der Sohn des Rechtsanwalts sollte den gleichen Unterricht bekommen wie der Sohn des Tischlers. Das war das zweite Schuljahr von D. Chanoch an dieser Schule, bis 1941 die Deutschen im Zuge des Unternehmens Barbarossa in Litauen einmarschierten.

Dann zeigt Daniel Chanoch noch eine Karte der baltischen Länder, wo die Siedlungsgebiete von Juden sowie die Infrastruktur von Konzentrations- und Vernichtungslagern zu sehen ist.

07:40 - 13:08

Besetzung durch die Deutschen 1941

Seine Familie war schon viele, viele Jahre in Litauen zuhause – so wie viele andere jüdische Familien auch. Für ihn ist es einfach unfassbar, dass 95% dieser Menschen vernichtet wurden. Die meisten davon hatten in kleinen Städtchen und den Dörfern gelebt. Für das Einsatzkommando 3 der SS unter Karl Jäger hieß die Pflicht, die maximale Anzahl von Juden zu erwischen und zu vernichten. Akribisch hielt man fest (Anm. Im sogenannten Jäger-Bericht), wie viele Menschen aus welcher Personengruppe getötet wurden. Es war es einfach unbegreiflich und unendlich traurig, wie der Mann oder der Kamerad, mit dem man viele Jahre zusammengelebt hatte, ohne Vorwarnung eines Tages aus dem Haus geholt und mit einem Wagen zur Grube weggebracht wurde, wo man die Menschen dann einfach erschoss. Genauso wurde auch die Einrichtung aus den Häusern der Juden geholt. Für die jüdischen Familien wie die von Daniel Chanoch war das der Anfang vom Ende.

Die russische Armee räumte ohne Kampfhandlungen das Feld, so dass die Deutschen nur in die Städte wie Kaunas einmarschieren mussten. Dann zeigt Daniel Chanoch ein Bild, wie die jüdischen Familien ins Ghetto eingezogen sind.

Das Ghetto war in zwei Teile geteilt: es gab ein großes Hauptghetto, von dem er ein Bild zeigt, und ein kleines Ghetto. Die nicht-arbeitsfähigen Leute wie Kinder, Alte, Kranke und Frauen wurden ins kleine Ghetto gebracht. Es hieß, dort könne man sie besser versorgen und die Kranken gesund pflegen. Aber das war eine Lüge, denn nach zwei Wochen lebte von diesen Menschen niemand mehr. Das war der Beginn der Judenvernichtung, deren Ziel es war, alles jüdische Leben auszulöschen.

Die zurückgebliebenen arbeitsfähigen Juden mussten alle möglichen Arbeiten verrichten. Dazu gingen sie früh am Morgen in die Firmen und Werkstätten, abends kamen sie wieder ins Ghetto zurück. Die Bildung spielte unter der jüdischen Bevölkerung in Litauen eine große Rolle. Auch sein Vater wollte ihn gerne noch woanders hinschicken, wo er nicht arbeiten musste oder gar vernichtet wurde, sondern noch weiterlernen konnte.

13:08 - 16:59

Hausdurchsuchung und Flucht

Sein Bruder, der älter war, warnte Daniel Chanoch eines Tages vor, dass wieder eine Aktion bevorstünde, wo man die Kinder und Alten, die nicht Arbeiten konnten, holen würde. Unter dem Dach des deutschen Arbeitsamtes in Kaunas waren mehrere jüdische Familien untergebracht, weil man dachte, dass dort niemand suchen würde. Aber als unten auf der Straße die SS vorbei ging, schrie in dem Moment ein kleines Kind.

Die SS drang daraufhin in das Gebäude ein und schickte alle Familien, die sich darin befanden auf die Straße. Daniel Chanoch hat heute noch den Anblick der Mütter, die ihre kleinen Kinder an sich drückten, vor Augen. Er selbst erinnerte sich an die Aussage seines Vaters, dass die Menschen zur Vernichtung abgeholt würden. So suchte er nach einem Fluchtweg und fand ihn auch unter einer Falltür, die er als Neunjähriger gerade so öffnen konnte.

Doch unten stand ein SS-Offizier, an dem er vorbei musste. Aber da er keinen anderen Ausweg sah, beschloss Daniel Chanoch zu springen. Dabei streifte er den Offizier, so dass der das Gleichgewicht verlor. Zwar zog jener noch seine Pistole und versuchte zu schießen, aber Daniel Chanoch floh im Zick-Zack-Lauf, und weil der Offizier sein Gleichgewicht noch nicht wieder gefunden hatte, traf er auch nicht.

Auf der Flucht half ihm ein Mann aus einem Nachbarhaus, der anbot, ihn unter seinem Dach zu verstecken. Aber es dauerte keine 10 Minuten, bis die SS begann, auch in diesem Haus nach ihm zu suchen. Der Mann bezahlte seine Hilfe mit dem Tod. Denn als die SS-Leute Daniel Chanoch nicht finden konnten, erschlugen sie den Mann und seinen Bruder.

16:59 - 19:40

Illegal im Lager

Im Ghetto gab zwar keine Schulen, aber immerhin eine kleine Bücherei, die von Freiwilligen verwaltet wurde, damit Kinder, die lesen wollten, das auch konnten. Die Menschen, die man bei dieser Durchsuchungs-Aktion fand, wurden wie viele andere Juden aus Österreich, Deutschland und anderen europäischen Ländern zu großen Gräbern gebracht und dort erschossen.

Nach der Säuberungsaktion im Ghetto war Daniel Chanochs Status illegal, das hieß, dass er auch keine Essensration zugeteilt bekam, denn die war nur für die Arbeitsfähigen gedacht. Sie waren also fünf Personen in der Familie, von denen nur vier Essen bekamen. Daniel Chanoch suchte tagsüber, während die anderen bei der Arbeit waren, Essensreste zusammen, aus der er eine Suppe kochen konnte, und Holz zum Heizen.

Anfangs war das Lager in Kaunas ein Ghetto, später ein Konzentrationslager (Anm. Hrsg.: ab Herbst 1943). Damit änderte sich auch das Regime. Männer und Frauen durften nicht mehr beieinander wohnen, sondern wurden getrennt. Es gab tägliche Appelle.

19:40 - 21:11

Räumung des Lagers

Im Juli 1944 wurde das Lager geschlossen. Allen Bewohnern wurde befohlen zum Bahnhof zu marschieren. Seine ganze Familie ging zum Bahnhof und wurde dort in einen Waggon geladen. Die erste Station war Stutthof, wo alle Frauen und Kinder aussteigen sollten. Sein Vater sagt zum jüngeren Sohn Daniel, dass er bei den Männern bleiben solle, denn man wisse nicht, was passieren würde.

Dieses Bild beim Abschied war das letzte, an das er sich von seiner Mutter und seiner Schwester erinnern kann. Danach sind die beiden im Lager Stutthof verschwunden. Ob sie bei der Zwangsarbeit oder durch Krankheit ums Leben kamen, weiß er nicht, weil er niemals mehr von ihnen gehört hat.

21:11 - 25:04

Dachau

Der Zug fuhr mit den Männern danach weiter nach Kaufering bei Dachau. Dort gab es eine große Fabrik, wo unter dem Decknamen »Ringeltaube« Flugzeuge produziert wurden. Weil Daniel Chanoch noch zu jung war, um dort zu arbeiten, sagte man zu ihm, er solle im Lager bleiben und in der Küche helfen. Dort ging es ihm eine kurze Zeit relativ gut, er konnte sogar noch etwas Essen für die Familie und die Kameraden abzwacken.

Bis eines Tages der Befehl kam, dass innerhalb einer Stunde alle Kinder im Lager eingesammelt werden sollen. Zu dem Zeitpunkt waren noch 131 Kinder aus dem Ghetto Kaunas übrig. Es war tragisch, denn er musste sich von seinem Bruder und dem Vater trennen. Ein älterer Kamerad namens Wulf kam zu ihm, und mit dem zusammen fuhr er mit dem Lastwagen zum Hauptlager nach Dachau.

Als sie in Dachau ankamen, lehrte sie Wulf richtig zu marschieren. In Dachau waren vor allem Kriegsgefangene - Piloten und Offiziere - die sich umschauten, als die Kinder vorbei marschierten. Sie sollten Richtung Osten gebracht werden. Einige der Polen, die sie unterwegs trafen, machten schon das Todeszeichen. Die Kinder überlegten, wie sie fliehen könnten, aber nur zwei haben den Sprung aus dem Waggon gewagt. Einer der Jungen kam bei einer polnischen Bauernfamilie unter. Der andere brach sich beim Sprung den Fuß. Auch ihn fand eine polnische Bäuerin, aber aus Angst brachte man den jüdischen Jungen zur Gestapo. Was aus ihm wurde, weiß Daniel Chanoch nicht.

25:04 - 31:40

Auschwitz-Birkenau und die unbegreifliche Normalität der Mörder

Als sie nachts in Auschwitz-Birkenau ankamen, war niemand an der Rampe. Sie marschierten los und trafen auf Mengele und einen jungen Offizier. Als der junge Offizier Mengele fragte, was sie mit diesen jüdischen Kindern machen sollten, antwortete der ihm unerwartet: »Lass sie durch.« Warum weiß Daniel Chanoch nicht. Es war einfach pures Glück, dass sie so zunächst am Leben blieben.

Daniel Chanoch geht noch einmal auf das Schicksal der Mutter und der Schwester ein. Weiter berichtet er davon, wie peinlich genau alle Lagerinsassen und ihr Verbleib in Auschwitz erfasst wurden. Dieses sadistische Verhalten der SS und ihrer Mitstreiter ist ihm bis heute völlig unbegreiflich.

Die Menschen wurden normalerweise gleich bei der Ankunft in Auschwitz-Birkenau selektiert. Die eine Reihe wurde zur Desinfektion geschickt und die anderen gleich in die Gaskammer. Nach ein paar Stunden war von ihnen nur noch Asche übrig.

Es gab häufiger den Fall, dass eine jüngere Frau mit ihren Kindern und der Großmutter ankam. Zu der jungen Frau sagte der Offizier: »Du kannst doch arbeiten. Aber lass deine Mutter und die Kinder in diese Richtung gehen.« Sie haben nicht gesagt »zum Krematorium«. So blieb die Mutter noch für unbestimmte Zeit am Leben, während die Oma mit den Kindern gleich umgebracht wurde.

Dann zeigt Daniel Chanoch ein Bild der – wie er ironisch betont – »großen Helden«, die sich zum Ziel gesetzt hatten, die Juden zu vernichten. Auch Mengele ist darunter. In einem Anzug, so Chanoch, könnte man sie bspw. von Geschäftsleuten überhaupt nicht unterscheiden. Völlig unbegreiflich ist ihm, wie diese Mörder abends zur Familie zurückkehren und ein ganz normales Leben führen konnten. Auschwitz war ein riesengroßer, »gutgehender Betrieb«, wohin neben Juden Russen, Ukrainer, Zigeuner und viele andere gebracht wurden. Angesichts der scheinbaren Normalität des Bildes, das »fette, zufriedene und schick angezogene Männer« zeigt, schüttelt Daniel Chanoch ungläubig den Kopf und meint: »Nur ihr Geschäft war der Tod.«

31:40 - 37:27

Eindrücke als Kind in Auschwitz

An Jom Kippur 1944 kam es zu einer Säuberungsaktion unter den Kindern im Lager. Die Lagerkommandantur beschloss, dass alle Kinder, die eine bestimmte Größe unterschritten, vernichtet werden sollten. Zum Messen nahm man einen Stecken. Von den 129 Kindern, die mit Daniel Chanoch zusammen angekommen waren, waren danach noch 40 am Leben. Innerhalb dieser Gruppe gab es eine starke Solidarität – man half sich gegenseitig und teilte Essen. So gab es bessere Chancen, um am Leben zu bleiben. Daniel Chanoch erinnert sich noch an einen kleinen Burschen. Als er ins Krematorium geschickt wurde, gab er sein restliches Brot den anderen mit den Worten »Ich brauche das jetzt nicht mehr.« Solche Abschiede von Brüdern und Kameraden waren oft sehr tragisch.

Danach zeigt er ein Bild von ihrer täglichen Beschäftigung. Mit Rollwagen mussten sie die Kleidung und Gegenstände derer, die an der Rampe neu ankamen, wegtransportieren. Manche der Menschen wollten sich von bestimmten Gegenständen nicht trennen. Durch diese Arbeit bekamen sie auch mit, was mit all den Menschen, die in Auschwitz ankamen, passierte. Auch wenn die Kommandeure zu ihnen sagten, die Öfen wären dazu da, um Brötchen für die Häftlinge zu backen.

Daniel Chanoch hat auch ein Dokument, das zeigt, dass er bei Mengele war. Aber zum Glück ist mit ihm nichts passiert. Später wurde er gebeten, als Zeuge im Prozess auszugsagen. Aber Mengele entkam und floh nach Südamerika (Anm. Hrsg.: nach Argentinien, nicht nach Paraguay)

Bis kurz vor Kriegsende, als schon lange klar war, dass die Deutschen den Krieg verlieren würden, arbeitete die Vernichtungsmaschinerie reibungslos. Daniel Chanoch bezeichnet die Judenvernichtung als Art Gewohnheit, die bis zum Schluss aufrechterhalten wurde.

37:27 - 43:43

Todesmarsch von Auschwitz nach Mauthausen

Auf der Karte zeigt Daniel Chanoch die Route des Todesmarsches mit dem Ausgangspunkt, wo sie am 18. Januar 1945 gestartet sind – bei eisiger Kälte (Anm. Hrsg. In den Nächten oft weit unter -20° C) ohne richtige Kleidung. Sie mussten schnell laufen. Es gab keine Verpflegung. Die Häftlinge versuchten sich mit Schnee und Gras zu ernähren. Aber wer nicht schnell genug ging und aus der Linie trat, wurde erschossen. Der ganze Wegrand war von Toten gesäumt. So marschierten sie bis zur Grenze von Oberschlesien, wo sie in einen offenen Zug Richtung Westen stiegen. Minute für Minute starben Menschen. Nur in Prag riskierten es Menschen und brachten ihnen Brot, bis sie dann in Mauthausen ankamen. Alle Häftlinge waren mit bestimmten Farben an ihrer Kleidung gekennzeichnet: rot stand für politische Häftlinge, schwarz für Mörder, grün für andere Kriminelle, gelb für Juden und pink für Homosexuelle.

Daniel Chanoch erklärt, dass es ihm schwerfällt, eine Geschichte, die eigentlich einen Monat zu erzählen dauern würde, kurz zusammenzufassen. Er fragt die Schüler, ob sie eine Zahl nennen können, wie viele jüdische Soldaten im 2. Weltkrieg gegen Hitler und Mussolini gekämpft haben. Die Schüler können jedoch keine Antwort geben. Daniel Chanoch sagt, es waren 2 Millionen jüdische Soldaten, von denen auch viele gefallen sind. Beispielhaft zeigt er zwei Bilder, von denen das eine das eines ukrainischen Juden zeigt, der Flieger war und versucht hat, der Zivilbevölkerung zu helfen. Das andere ist von einem amerikanischen Soldaten, der auch fiel.

Danach zeigt Daniel Chanoch ein Bild von einem Todesmarsch, wo noch viele frühere Lagerinsassen ums Leben kamen. Dann berichtet D. Chanoch vom schlimmsten Lager, in dem er je war, dem KZ Gunskirchen, einer Außenstelle von Mauthausen. Dort wurde den Menschen Zyanid unter die Suppe und das Brot gemischt wurde, so dass viele Insassen starben. (Anm. Hrsg.: Überliefert ist, dass kurz vor Kriegsende täglich ca. 150 Menschen in Gunskirchen verstarben)

43:43 - 48:00

Nach Kriegsende

Nach dem Krieg hat Daniel Chanoch nach Familienmitgliedern gesucht. Das Beste, was ihm nach dem Krieg passiert ist, ist dass er seinen Bruder in Norditalien, wo eine jüdische Brigade war, wieder getroffen hat. Die Brigade brachte die Brüder zusammen und versorgte sie. Anschließend zeigt er noch einmal ein Foto der 131 Kinder von Kaunas, von denen 40 am Leben blieben. Diese 40 schützten und stärkten sich gegenseitig.

Als er und sein Bruder sich in Italien aufhielten, verboten die Engländer die Einreise nach Palästina. So suchten sein Bruder und er verschiedene Orte auf, bevor sie mit einem kanadischen Eisbrecher nach Haifa gelangten. Dort begann er ein neues Leben. Er kämpfte in der israelischen Armee und Jitzchak Rabin wurde ein guter Kamerad von ihm.

48:00 - 52:10

Fragerunde

Daniel Chanoch erklärt, wie genau sich die Kinder in Auschwitz gegenseitig vor der Kälte geschützt haben, weil man sie nicht in die Baracken ließ. Er beschreibt noch einmal die Aufgabe der Kinder, die Waren und Güter der in den Waggons ankommenden Menschen zu transportieren – aber ihre Hauptaufgabe sei gewesen am Leben zu bleiben.

Auf die Frage, warum er nach Palästina/Israel ausgewandert sei und nicht woanders hin, antwortet er, dass für ihn dieses Land – wie für 95% der Juden – seine eigentliche Heimat sei. Für ihn war es ein guter Entschluss. Abgesehen von seinem Studium in Amerika hat er die meiste Zeit seines Lebens in Israel verbracht. Auch seine Kinder und die Enkelkinder sind dort zuhause.

Seit 1946 – also vor der Gründung des Staates Israel – lebt er dort.

Für kurze Zeit hat er in einem der Lager in einer Werkstatt gearbeitet, wo Schachteln für die Munition hergestellt wurden.

52:10 - 54:49

Befreiung durch die Amerikaner

Zur Befreiung des Lagers Gunsrück berichtet Daniel Chanoch, dass diese sich schon abzeichnete. Die SS-Leute verließen ihre Posten, die nun von Offizieren der Wehrmacht übernommen wurden. Das Lager war voller Leichen. Als die Amerikaner in das Lager kamen, waren sie nicht darauf vorbereitet, dort auf so viele Menschen zu treffen. Die Versorgung stellte ein Problem dar, weshalb viele losgelaufen sind und sich auf die Suche nach Essen machten. Daniel Chanoch kam in die Stube einer Österreicherin mit zwei Kindern, die für ihn eine Hühnerbrühe kochte. Das war seine erste Verpflegung nach der Lagerzeit, die ihm viel geholfen hat. In der Luftwaffenkaserne versorgte er sich mit neuen Kleidern, denn die alten waren schmutzig und verlaust. Nun wusste er nicht so recht wohin er gehen sollte, und auch nicht, wer noch lebt und wer nicht. An den offiziellen Sammelstellen wollte er sich wegen der Seuchengefahr nicht einfinden. So kam er zu der jüdischen Brigade, die ihn über die Grenze nach Italien geführt hat. Der Augenblick der Befreiung war ein sehr ambivalenter Moment, denn vielen war zu dem Zeitpunkt klar, dass sie die meisten ihrer Angehörigen nicht mehr sehen werden.

54:49 - 1:00:10

Wiedersehen mit dem Bruder/Wunschziel Israel

Die israelischen Brigaden sammelten die Namen aller Juden, die sie trafen. Daniel Chanoch selbst hatte keine Nachricht von seinem Bruder, aber dieser konnte ihn ausfindig machen, als er schon auf dem Weg zum Mittelmeer war. In Bologna kam es dann zum Wiedersehen, und gemeinsam versuchten sie sich auf den Weg nach Palästina/Israel zu machen. Es war der Wunsch von ihnen beiden, in dieses – in ihr Land – zu geben. Andere Länder wie die Schweiz oder die USA waren nie eine Option.

Bis heute haben die 40 Kinder von Kaunas Kontakt miteinander. Regelmäßig treffen sich die Kameraden am 4. Mai, dem Befreiungstag, und feiern gemeinsam ein Fest.

Daniel Chanoch berichtet von seinem Lebenswillen und seiner Intuition, die ihm geholfen hat zu überleben. Er hat versucht, nur die Sachen zu essen, die unbedenklich waren, wo vermutlich kein Gift drin war – wie kleine Muscheln, die sie fanden, oder im Sommer Gras und etwas Gemüse.

Dann kommt er kurz auf den Film »Pizza in Auschwitz« zu sprechen, der über ihn und seine zwei Kinder gedreht wurde, und der mehrere internationale Preise gewann.

1:00:10 - 1:06:21

Umgang mit den Deutschen/Wünsche für die Zukunft

Auf die Frage, ob er denn kein Problem mit Deutschen habe, meint er, dass Hass und Kriege nirgendwo hinführten, sondern dass die Menschen sich in Solidarität und Hilfe üben sollten. Es habe schon genug Kriege gegeben, und das gute Leben, das heute viele Menschen in Demokratien genießen dürfen, müsse man schützen. Sorgen macht ihm die Politik Russlands.

Dass von seiner Familie fast niemand übrig geblieben ist, macht Daniel Chanoch heute noch traurig. Auch das gesamte Vermögen der Familie ging verloren. Nach dem Krieg haben sie nichts mehr zurückbekommen, so dass sein Bruder und er in Israel bei null anfangen mussten. Er lebte in einem Kibbuz und begann mit der Schule in Israel mit der 6. Klasse. Als der Krieg anfing, war er gerade in die 1. Klasse gekommen.

Eines seiner Lebensrezepte ist, viel zu schaffen. Er versucht, sich nicht Gefühlen hinzugeben, sondern sich auf die Arbeit zu konzentrieren. So kann man sich eine eigene Existenz aufbauen und anderen helfen.

Auf die Nachfrage nach seinen Familienmitgliedern antwortet Daniel Chanoch, dass es von seinem Vater im KZ Dachau Dokumente gibt, die dessen Tod bestätigen. Im früheren KZ Stutthof war er dagegen schon mehrmals, ohne dass er irgendwelche Informationen zu dem Verbleib von Mutter und Schwester gefunden hätte. Sie seien einfach verschwunden.

Zum Ende erläutert er den Unterschied zwischen Auschwitz und Birkenau. Auschwitz sei eigentlich ein Arbeitslager gewesen, während in Birkenau vier Krematorien und die Gaskammern standen. Wer in Birkenau ankam, für den bedeutete es fast immer den Tod. Es gab dort nur solche Häftlinge, die die Hilfsdienste übernehmen mussten. Dass er Birkenau überlebt hat, sei reines Glück gewesen, betont er. Aber auch Auschwitz sei sehr schlimm gewesen.. Die beiden Lager lagen zwei bis drei Kilometer auseinander.