Papierblatt – Holocaust-Überlebende berichten

Neuigkeiten

Holocaust-Gedenken und Weiterbildung – im Schatten des 7. Oktober

8. Februar 2024

»Mengele« – diesen Namen erwähnte der Auschwitz-Überlebende Avigdor Neumann immer wieder in seinem Bericht. Der Daumen des berüchtigten KZ-Arztes Josef Mengele entschied zigtausendfach über Leben und Tod: Direkt in die Gaskammern ging es im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau für Frauen und Kinder. Kräftige Männer wurden für die Zwangsarbeit gebraucht, zumindest bis zur nächsten Selektion. Neumann war zwölf Jahre alt, als er von seiner Heimat in der heutigen Ukraine deportiert wurde, zu Mengele sagte er, er sei fünfzehn – und entkam zusammen mit seinem Vater zum ersten Mal dem Tod.

Etwa 170 Besucher hatten sich im iP-Zentrum des Hilfswerks Zedakah e.V. in Maisenbach versammelt, um Avigdor Neumann zuzuhören. Er war aus seinem Wohnzimmer in Israel zugeschaltet. Dem Gedenkabend ging am diesjährigen Holocaustgedenktag ein Seminar für Lehrkräfte und Interessierte voraus. Die etwa 60 Teilnehmer bekamen – mit Blick auf den aktuellen Krieg gegen die Hamas – durch zwei Experten tiefgreifende Einblicke in die Ursachen des Nahostkonflikts und in die Bedeutung insbesondere des islamistischen Antisemitismus.

Den Tag haben wir auf einer Veranstaltungsseite umfangreich dokumentiert, dort finden Sie die Übertragung des Gedenkabends und die vier Beiträge des Seminartags.

Wichtige Veranstaltungen und ein Rückblick auf die letzten Wochen

16. Januar 2024

Seit über 100 Tagen sind die verbliebenen Geiseln des 7. Oktober 2023 nunmehr im Gazastreifen gefangen. Es ist nicht sicher, wieviele von ihnen überhaupt noch leben. Nach den abscheulichen Verbrechen der Hamas und der andauernden Gefahr von Raketenangriffen auch im Norden befindet sich Israel im permanenten Kriegs- und Krisenmodus. Währenddessen solidarisieren sich Demonstranten einseitig mit den Opfern auf der palästinensischen Seite und ignorieren die offensichtliche Tatsache, dass die Hamas auf ihre eigenen Zivilisten keinerlei Rücksicht nimmt. Von Israel wird ein Waffenstillstand verlangt und das Land wurde vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Völkermords verklagt.

Die Mitarbeiter unseres Projektpartners Zedakah betreuen die Heimbewohner des Altenpflegeheims unter erschwerten Bedingungen, seit über drei Monaten spielt sich ein Großteil des Lebens im Bunker ab. Das Werk berichtet regelmäßig von der Situation in Maalot und Shavei Zion. Besonders tragisch war der Verlust von Urija Bayer, der als Soldat im Gazastreifen im Einsatz war.

Mit zwei Veranstaltungen nehmen wir in nächster Zeit den Umgang mit Antisemitismus – vor allem an Schulen – besonders in den Blick: In Maisenbach bei Bad Liebenzell gibt es am Samstag, 27. Januar 2024 ab 9 Uhr ein Tagesseminar für Lehrkräfte und Interessierte: »Zionismus, Nahostkonflikt und islamistischer Antisemitismus« – mit Prof. Dr. Matthias Morgenstern und Dr. Matthias Küntzel. Am Abend laden wir zu einer Gedenkveranstaltung mit dem Auschwitz-Überlebenden Avigdor Neumann ein, der aus Israel zugeschaltet wird. In Tübingen-Lustnau sind wir am Samstag, 3. März 2024 beim Forum »Verhängnisvoller Antisemitismus« aktiv mit dabei.

Für eine vertiefende Beschäftigung mit Israel und dem Nahostkonflikt – und besonders auch der Bedeutung für uns Christen – empfehlen wir den Film »#schalom75 – Gottes einzigartige Treue« sowie die jüngst überarbeitete Informationsplattform »Einzigartiges Israel«.

Timo Roller

Wenn der Holocaust zu verblassen droht

2. November 2023

Die Zugriffszahlen auf unseren Papierblatt-YouTube-Kanal sind wenige Tage nach dem Hamas-Überfall am 7. Oktober merklich zurückgegangen. Dies mag einerseits am Vorschlagsalgorithmus von YouTube liegen, der möglicherweise deutlich mehr aktuelle Videos berücksichtigt. Andererseits verblassen die Zeitzeugenberichte aus »ferner Vergangenheit« angesichts der multimedial übertragenen Gräueltaten der islamistischen Terrorgruppe. Leid, das vor dem 7. Oktober in Worten oder in Zeichnungen bezeugt wurde, ist nun plötzlich blutverschmiert und manchmal unverpixelt in den Sozialen Medien zu sehen. »Nie wieder ist jetzt« wurde oft gesagt. Zurecht. Es ist unerträglich zu erkennen, dass sich solcher Horror am jüdischen Volk in unserer Gegenwart wiederholt.

Der Vergleich der fast 80 Jahre alten Illustrationen von Ella Liebermann-Shiber mit aktuellen Fotos und Screenshots ist erschreckend. Die dargestellten Grausamkeiten sind nun wieder passiert. Dunkle Vergangenheit ist heute! Mit mehreren Collagen versuche ich auf meinem Instagram-Kanal auf diese traurigen Parallelen aufmerksam zu machen.

Während viele Politiker weltweit von Israel eine Waffenruhe fordern und sich um die Zivilisten im Gazastreifen sorgen, missbraucht die Hamas eben diese Zivilisten als Schutzschilder gegen die israelische Offensive. Hamas zwingt die eigenen Leute, sich den Evakuierungsaufrufen des Militärs zu widersetzen und ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Tote und Verletzte dienen als »Futter« für immer neue Hamas-Propaganda, die sich weltweit verbreitet und dazu führt, dass in den Städten und sogar an Eliteuniversitäten antisemitische Parolen geschrien werden. Gleichzeitig sind noch deutlich mehr als 200 Geiseln – Kleinkinder, Frauen, Holocaust-Überlebende – in den Händen der Hamas. Angehörige bangen um ihr Leben. Und immer noch werden aus dem Gazastreifen heraus Raketen abgeschossen. Niemand sollte in dieser Situation den Israelis Vorschriften machen. Sie sorgen sich mehr um palästinensische Zivilisten als deren – übrigens einst gewählte – Anführer.

Für die vertiefende Beschäftigung mit der aktuellen Situation – auch im Unterricht – empfehle ich folgende Links:

Plakate der Geiseln in mehreren Sprachen

Solidaritätsaktion A Million with You

Eine interaktive Karte der Massaker vom 7. Oktober

Zeitzeugenberichte von Überlebenden des Massakers mit englischen Untertitel auf Instagram

„Ein Überlebender sagte zu mir: ‚Das habe ich selbst im Holocaust nicht gesehen‘“ – Artikel in der Frankfurter Rundschau

Zu zwei Veranstaltungen im Zusammenhang mit unserer Papierblatt-Arbeit – anlässlich des 85. Jahrestags der Pogromnacht – möchten wir besonders einladen: In Baisingen gibt es am 9. November um 19 Uhr eine Gedenkstunde. Am 12. November wird »25 Jahre Gedenkstätte Synagoge Baisingen« gefeiert. Weitere Infos auf den Seiten der Gedenkstätte. Nach Maisenbach laden wir am 9. November zu einem Gedenk- und Begegnungsabend mit Dr. Fredy Kahn und Dr. Franziska Becker ein, die sich aus persönlicher und wissenschaftlicher Perspektive dem Umgang mit dem Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit widmen. Infos gibt es auf der Homepage des IP-Zentrums.

Aktuelle Meldungen von der herausfordernden Arbeit in den Häusern (und Bunkern) von Zedakah im Norden Israels gibt es auf der Homepage des Werks.

Die zurückliegenden Filmaufführungen der Produktion #schalom75 waren sehr ermutigend, auch wenn der Film von den Ereignissen überholt wurde. Dennoch präsentiert er viele Hintergrundinfos (mit Material vom Papierblatt-Projekt z.B. über den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Holocaust und Staatsgründung) und zeigt geistliche Perspektiven auf. Es hat uns sehr positives Feedback erreicht und es gibt großes Interesse an weiteren Vorführungen.

Mit den zurückgegangenen Zugriffszahlen gehen wir gelassen um. Es geht nicht um unser Projekt, sondern um das Volk Israel. Ich bin davon überzeugt, dass nach wie vor und auch in Zukunft gilt: Am Israel Chai! – Das Volk Israel lebt!

Timo Roller

Nie wieder? »Dunkle Vergangenheit« ist heute!

23. Oktober 2023

Nie wieder! – So hatte man es sich vorgenommen. Nie wieder dürfen wir zulassen, das Juden ermordet werden, weil sie Juden sind. Dass jüdische Babys kaltblütig umgebracht, Frauen entwürdigt, Menschen gequält und verstümmelt werden.

Nie wieder wollen wir wehrlos sein! – Das hatten sich auch die Israelis vorgenommen. Bis 1991 fand die Vereidigung der Rekruten des israelischen Militärs an der Felsenfestung Masada statt, genau dort, wo um 70 n. Chr. fast 1000 Juden den Freitod gewählt hatten, um nicht den römischen Eroberern in die Hände zu fallen und massakriert oder als Sklaven verschleppt zu werden.

Der Vorsatz »Nie wieder« ist am 7. Oktober und in den Tagen danach in sich zusammengebrochen. Nie wieder – auf diese Worte muss nun ein Fragezeichen folgen!

Wir vom Papierblatt-Team haben uns in den letzten Monaten und Jahren mit den Zeichnungen von Ella Liebermann-Shiber beschäftigt, die damit ihre Zeit während des Holocausts dokumentiert und verarbeitet hat. Wir haben eine Videopräsentation mit ihrer Originalstimme veröffentlicht, haben eine ausführlich Biografie erstellt, uns mit ihren Nachkommen getroffen und das Buch »Erinnerungen aus dunkler Vergangenheit« neu aufgelegt.

Wir haben eine große Ausstellung konzipiert, die (hoffentlich irgendwann) umgesetzt werden soll. Dabei wurden die grausamsten Bilder weggelassen. Die Pädagogik spricht vom »Überwältigungsverbot«. Man soll Schüler nicht mit zu drastischen Methoden »überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbstständigen Urteils hindern«. So wurde es 1976 im Beutelsbacher Konsens formuliert und dies erscheint uns eigentlich auch sinnvoll.

Doch nun sind wir selbst überwältigt! Überwältigt und schockiert von Bildern und Videos, die in den Sozialen Medien im Umlauf sind und zeigen, was für ein Massaker die Hamas-Terroristen aus dem Gazastreifen am 7. Oktober 2023 angerichtet haben. Fast genau 50 Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg, 80 Jahre nach dem Holocaust, 1950 Jahre nach dem Massenselbstmord von Masada.

Wieder wurden Juden ermordet, weil sie Juden waren. 1400 Männer, Frauen und Kinder wurden niedergemetzelt, über 200 Menschen in den Gazastreifen entführt. Ihr Schicksal ist auch zwei Wochen nach diesem schrecklichen 7. Oktober weitgehend ungewiss.

»Erinnerungen aus dunkler Vergangenheit« heißt der Kunstband von Ella Liebermann-Shiber. Diese »dunkle Vergangenheit« hat uns eingeholt. Sie ist heute.

Was tun? Wir stehen zu Israel und beten. Und flüstern nur noch ganz leise: »Nie wieder!«

Timo Roller

Beten für Israel!

10. Oktober 2023

Am 7. Oktober 2023 sind soviele Juden ermordet worden wie an keinem anderen Tag seit dem Ende des Holocausts! Der schreckliche Angriff der Terrorgruppe Hamas am Morgen des Schabbat und am Feiertag »Simchat Tora« (»Freude an der Tora, den fünf Büchern Mose«) hat das Land erschüttert, viele Leben zerstört und Familien in Verzweiflung gestürzt. Bei einem »Friedensfest« in der Nähe des Gazastreifens wurden über 250 junge Leute barbarisch ermordet. Israelis wurden entführt und werden als Geiseln gehalten. Tausende Raketen sind auf Israel abgefeuert worden. Das Militär wurde überrumpelt und hat lange gebraucht, die Lage in den Griff zu bekommen. Wie es weitergeht, vor allem auch mit den Entführten, ist völlig unklar.

Wir beten für die Opfer dieses Angriffs und für das ganze Volk!

Bei unseren Freunden von Zedakah, im Norden des Landes, ist die Lage noch relativ ruhig, aber sehr angespannt. Es wird befürchtet, dass auch die Hisbollah vom Libanon aus ihre Raketen abfeuert. Das Militär ist im Einsatz, die Bevölkerung ist aufgefordert, in der Nähe von Schutzräumen zu bleiben. Die Tore zum Ort Shavei Zion »sind Tag und Nacht geschlossen, bzw. bewacht, das Schwimmen im Meer verboten – zu groß die Sorge, dass israelische Araber sich den Terroristen anschließen«, heißt es auf der Homepage von Zedakah. Bewohner aus dem Ort, die keine eigenen Schutzräume haben, und Trauergäste einer Nachbarin, deren Mann im Kriegseinsatz gefallen ist, finden im Zedakah-Gästehaus Zuflucht, wo ich selbst mit meiner Familie vor sechs Wochen zu Gast war. Auf der Homepage gibt es auch Informationen, wie man das Werk in der aktuellen Krise unterstützen kann. (Update vom 11. Oktober: Die Bewohner des Pflegeheims in Maalot sind mittlerweile im Bunker, weil es in der Nähe Einschläge aus dem Libanon gab. Diese Situation ist für die pflegebedürftigen alten Menschen und für die Mitarbeiter sehr herausfordernd. Update vom 23. Oktober: Der Schwarzwälder Bote hat einen Artikel von mir über Zedakah veröffentlicht.)

Papierblatt-Projektpartner Thorsten Trautwein ist derzeit für ein dreimonatiges Kontaktstudium in Jerusalem. Er fühlt sich dort recht sicher, aber auch in Jerusalem gab es Raketenalarm und daraufhin immer wieder in den Schutzräumen. Am Samstagnachmittag schrieb er: »In diesen Tagen wird viel über den Jom Kippur-Krieg berichtet, der 50 Jahre her ist. Auch der begann an einem großen Feiertag und es gab Probleme. An den Schabbaten übersetze ich einen Psalm, heute Ps 97. Es ist einer der Psalmen, der im Kabbalat Schabbat (Empfang des Schabbats) Gottesdienst gebetet wird. Da heißt es: ›Die ihr den HERRN liebt, hasst das Böse! Er beschützt das Leben seiner Frommen (Chassidim).‹ – Ein Vers, der von Juden jeden Schabbat gebetet, geglaubt und erhofft wird - gerade auch vor dem Hintergrund der langen und oft schweren Geschichte sowie der aktuellen Gegenwart.« (Update vom 13. Oktober: Inzwischen ist Thorsten Trautwein auf dem Weg nach Hause über Jordanien.)

Juden werden ermordet, regelrecht niedergemetzelt. Manches, was über die Medien zu sehen ist, erinnert an die dunklen Ereignisse, von denen unsere Zeitzeugen immer wieder berichtet haben. Das ist wirklich schrecklich und wir möchten unsere volle Solidarität mit Israel und dem jüdischen Volk ausdrücken in dieser furchtbaren Lage.

Wir beten für Frieden und Bewahrung, den Trost der Angehörigen, die Freiheit der Geiseln und das umfassende Eingreifen Gottes.

Timo Roller

»Antisemitismus heute« – Kongressthema und zugleich aktuelle Diagnose

29. September 2023

»Israelische Armee greift den vierten Tag in Folge Hamas-Posten an« – solche Schlagzeilen gibt es immer wieder in den sogenannten seriösen Medien, so auch am Montag auf »Zeit Online«. Erst in der Beschreibung erfährt man, dass dieser Angriff Israels eine Reaktion war auf »Ausschreitungen« an der Grenze zwischen dem Gaza-Streifen und Israel seit zwei Wochen sowie von »Schüssen auf Soldaten«. Wäre so eine Überschrift die Ausnahme, könnte man über die einseitige Formulierung hinwegsehen, aber es ist sehr regelmäßig zu beobachten, dass durch die Anordnung von Informationen in manchen Medien oft der Eindruck entsteht, Israel sei im Nahostkonflikt der Aggressor.

In der Nacht auf Dienstag beschmierte offensichtlich ein 12-Jähriger an der Herrenberger Jerg-Ratgeb-Schule ausgestellte Porträts von Holocaust-Überlebenden des Fotokünstlers Luigi Toscano mit Hakenkreuzen und »Hitlerbärtchen« – Vandalismus, ein Dummer-Jungenstreich oder bewusster Antisemitismus? Der SWR berichtete, die Ermittlungen dauern an.

Parallel zu diesen Ereignissen, von Sonntag bis Dienstag, waren wir mit einem Papierblatt-Team auf dem Kongress »Antisemitismus heute« im Schönblick-Gästezentrum in Schwäbisch Gmünd und stellten unsere Arbeit vor. Frank Clesle und Alexander Cyris kamen im Namen von Zedakah und dem IP-Zentrum in Maisenbach, Gabriel Stängle als Experte für unsere Regionalgeschichte und Bildungsthemen, Timo Roller als Vertreter von MORIJA, dazu war zeitweise Bernt Mörl von Aseba dabei, einem christlichen Medienwerk, das Papierblatt seit Jahren unterstützt und sich für die Produktion des Films #schalom75 verantwortlich zeichnet. Neben einem Ausstellungsstand, Networking und Gesprächen hielten wir insgesamt drei Seminare und Gabriel Stängle nahm abends an einer Podiumsdiskussion teil zum Thema: »Wie können Pädagogen agieren, um dem Antisemitismus präventiv zu begegnen?«

Fotos: Der Antisemitismus-Kongress mit namhaften Referenten wie (unten von rechts nach links) Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl, Bestseller-Autor Ahmad Mansour (mit Personenschutz!) sowie dem baden-württembergischen Antisemitismus-Beauftragten Michael Blume. Mit auf dem Podium: Gabriel Stängle (oben, 2.v.l.) vom Papierblatt-Team.

Antisemtismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem – dies war eine der wichtigsten Erkenntnisse der Veranstaltung, von unterschiedlichen Referenten wurde das betont. Es gibt Judenhass unter Extremisten auf rechter und linker Seite, unter Islamisten, in Parteien und Klimaschutzbewegungen. Der Staat Israel wird von der UNO öfter verurteilt als alle anderen Staaten zusammen, die EU und die deutsche Regierung haben immer wieder Nachsicht mit Aussagen palästinensischer Vertreter, die den Holocaust relativieren. In den Medien erfüllt die manchmal obsessive Israelkritik eindeutig Kriterien von Antisemitismus: die Dämonisierung Israels sowie das Anlegen anderer Maßstäbe als an andere Länder.

Ein Fazit des Kongresses: Der Kampf gegen Antisemitismus erscheint nahezu aussichtslos, gemeinsame Kraftanstrengungen in der Bildungspolitik, in den sozialen Medien und im persönlichen Umfeld sind dringend notwendig.

Unser Anteil an dieser schwierigen gesellschaftlichen Aufgabe soll weiterhin sein, Zeitzeugen-Interviews bereitzustellen und sie zusammen mit Unterrichtsmaterialien als konkrete Hilfen für Lehrer anzubieten, ergänzt durch Bücher der »Edition Papierblatt«, die den Lesern ein breites Spektrum an Themen eröffnen: jüdische Schicksale, die reichhaltigen jüdischen Einflüssen auf unsere regionale Kultur aufzeigen sowie auch spannende Einzeldarstellungen wie die Kabbalistische Lehr- bzw. Lerntafel oder das jüdische Leben speziell in Pforzheim. Die Zahl der Zeitzeugen-Videos hat sich inzwischen auf 45 erhöht, erst Anfang September haben wir Amos Fröhlich interviewt, der Teil war einer Gruppe von Auswanderern aus Südwestdeutschland, die in Israel kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs den Kibbuz Shavei Zion gegründet haben.

Trotz der fortwährenden Ablehung und offenem Hass gegenüber dem Staat und Volk Israel, die in unserem Land zu beobachten ist: Wir machen weiter! Und wir sind nicht allein, das war die ermutigende Botschaft des Kongresses.

Technische Neuerungen

Die Umstellung auf HD-Versionen ist inzwischen fast vollständig abgeschlossen. Alle bisherigen Zeitzeugen-Berichte sind nun auf unserem YouTube Kanal »Papierblatt« eingebunden und auch auf unserer Homepage über die Suchfunktion verwendbar. Erfreulicherweise hat sich die Reichweite unseres Kanals in letzter Zeit sehr vergrößert, dies scheint daran zu liegen, dass YouTube unsere Videos vermehrt weiterempfiehlt.

Das Buch »Jüdisches Leben im Nordschwarzwald« ist mittlerweile komplett digital verfügbar, die einzelnen Kapitel können auf der Übersichtsseite heruntergeladen werden.

Wertvolle Besuche in Israel

Mit einer kleinen Gruppe waren wir in Tel Aviv am Grab von Mordechai Papirblat – an seinem 100. Geburtstag am 25. April 2023. Leider ist er im Dezember 2022 im Alter von 99 Jahren verstorben. Es hat uns sehr gefreut, dass sein Enkel Lior Papirblat sich die Zeit genommen hat, uns die Grabstätte auf dem Friedhof Kiryat Shaul zu zeigen. Auch das Grab von Mordechais Frau Sima, die 2012 verstorben ist, haben wir besucht.

Während unserer Israelreise Ende April trafen wir uns auch mit Ada Waits, der Tochter der Künstlerin Ella Liebermann-Shiber, und ihrem Mann Jacob. Beide haben wir letztes Jahr in Deutschland bei Zedakah kennengelernt. Es war ein herzliches Wiedersehen in Ramat Yishay in der Jesreel-Ebene.

Mordechai Papirblat und Ella Liebermann-Shiber werden im neuen Film »#schalom75 – Gottes einzigartige Treue« vorgestellt (produziert von Aseba Deutschland in Zusammenarbeit mit MORIJA). Dieser Teil ist auch in der Kurzversion (17 Minuten) von #schalom75 zu sehen, die soeben auf YouTube freigeschaltet wurde.

Gegen das Vergessen – für die Zukunft!

Am 27. Januar ist Holocaust-Gedenktag. Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Seit Jahren organisieren die Papierblatt-Partner Veranstaltungen zu diesem Anlass. Dieses Jahr lud der Landkreis Calw ins Landratsamt ein, bereits am 26. Januar, weil der 27. ein Freitag ist und der Shabbat-Abend für unsere jüdischen Mitwirkenden und Gäste ungeeignet ist.

Ivan Lefkovits kam aus Basel, um im Gespräch mit Schuldekan Thorsten Trautwein von seinem Schicksal zu erzählen. Er war sieben Jahre alt, als er mit seiner Familie ins KZ Ravensbrück deportiert wurde. Mit seiner Mutter wurde er dann ins KZ Bergen-Belsen gebracht. Beide überlebten, der Rest der Familie Lefkovitz wurde ermordet.

Nach einem Studium in Prag arbeitete Ivan Lefkovits als Immunologe in Basel. Bis zu seinem Ruhestand hatte der heute 86-Jährige darüber hinaus mehrere Professuren an renommierten Universitäten.

Zu Beginn der Veranstaltung begrüßten Landrat Helmut Riegger sowie Susanne Benizri-Wede, Erziehungsreferentin bei der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden, die Zuschauer im vollbesetzten Saal. Anna Pajdakovic und Jonas Dehmel erzählten von ihrem lehrreichen und bewegenden Besuch in Auschwitz im Rahmen einer vom Landkreis initiierten Jugendbegegnung in Polen.

Mit einer Psalmlesung, der Entzündung von Kerzen und einer Gedenkminute wurde zum Abschluss der Veranstaltung an die Opfer des Holocaust gedacht.

Die Veranstaltung wurde gestreamt, der Livestream ist auf dem YouTube-Kanal des Landkreises Calw weiterhin abrufbar. Das Interview mit Ivan Lefkovits wurde für Papierblatt aufgenommen und wird bald unter der Rubrik »Zeitzeugen« verfügbar sein.

Mordechai Papirblat, 1923–2022

In der Nacht auf den 27. Dezember 2022 ist Mordechai Papirblat im Alter von 99 Jahren verstorben.

Im Jahr 2013 hat er im Gästehaus von ZEDAKAH in Shavei Zion einen Vortrag über sein Schicksal während des Holocaust gehalten. Die Aufnahme des sehr bewegenden und aufrüttelnden Zeitzeugenberichts war einer der ersten Beiträge auf www.papierblatt.de. Unsere Unterrichtsplattform hat 2016 seinen Namen bekommen. Zunächst klang das etwas ungewöhnlich – aber es hat sich herausgestellt, dass es keinen besseren Namen geben konnte!

Mordechai hat unsere Aufmerksamkeit ganz besonders auf sich gezogen. Nachdem er 2015 bei Schuleinsätzen in Deutschland noch einmal aus seinem Leben erzählt hat, besuchten wir – Thorsten Trautwein und Timo Roller – ihn 2019 zuhause in Israel (Foto). Er war ein sehr liebevoller und humorvoller Mensch mit einem riesigen Erinnerungsschatz, den er gerne mit uns teilte.

Inzwischen liegt seine tagebuchartige Erzählung »900 Tage in Auschwitz« in deutscher Übersetzung im MORIJA-Verlag vor, Thorsten Trautwein hat eine umfangreiche Biografie verfasst, die auf www.papierblatt.de abrufbar ist und die Mordechais Leben von der Geburt in der polnischen Stadt Radom im Jahr 1923 bis zu seinem 97. Geburtstag im April 2020 in Tel Aviv umfasst und zahlreiche Hintergrundinformationen enthält.

Mordechai Papirblat sagte von sich selbst: »Mein Name ist ein Denkmal« – nur er selbst hat als Träger dieses Namens überlebt, seine ganze Verwandtschaft wurde in den KZs ausgelöscht. Mordechai Papirblat ist wahrlich ein Denkmal. Sein Leben, seine Menschlichkeit, Freundlichkeit und sein Humor bedeuten uns sehr viel. Sein erschütterndes Tagebuch und seine Vorträge lassen uns das furchtbare Leid erahnen, das er erfahren musste. Und dennoch hatte er eine enorm positive Lebenseinstellung.

Es ist uns eine Ehre und eine Freude, ihn gekannt zu haben. Und es ist uns ein Vorrecht und eine Verpflichtung, seine Geschichte und Menschenfreundlichkeit weiterzutragen. Die Freundschaft mit ihm und seiner Familie war und bleibt sehr wertvoll. Den Papirblats dreier nachfolgender Generationen wünschen wir viel Kraft und Gottes Beistand in der Zeit des Abschieds und der Trauer.

Möge seine Erinnerung ein Segen sein.

Das Papierblatt-Team
Thorsten Trautwein, Frank Clesle und Timo Roller

Erinnerungen aus dunkler Vergangenheit

Konzept einer interaktiven Wanderausstellung

Bei der Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht am 9. November 2022 in Maisenbach stellten wir unser Konzept einer Wanderausstellung über das Leben und Werk von Ella Liebermann-Shiber vor. Die Künstlerin hat den Holocaust gezeichnet. Und ihr Leben war vom Holocaust gezeichnet. »Holocaust gezeichnet« – so soll deshalb der Untertitel der Wanderausstellung »Erinnerungen aus dunkler Vergangenheit« lauten, die das Hilfswerk »Zedakah« gemeinsam mit Schuldekan Thorsten Trautwein aus Calw, Schwester Anne Rentschler vom Diakonissenmutterhaus Aidlingen sowie dem Grafiker Samuel Pross konzipiert.

Papierblatt: Holocaust-Überlebende berichten

Zeitzeugenarchiv mit Unterrichtsentwürfen und Video-Suchfunktion

Hinter den Kulissen …

In den letzten Monaten haben wir viele Dinge hinter den Kulissen aufgearbeitet: HD-Versionen der Videos ausgespielt, einen YouTube-Kanal vorbereitet, die Einbindung dieser hochauflösenden Versionen in unsere durchsuchbare Plattform vorbereitet. Die Umstellung wird nun innerhalb der nächsten Wochen schrittweise vorgenommen. Gerne können Sie auch unseren YouTube-Kanal abonnieren, um auf diese Weise über neue HD-Versionen und neue Produktionen informiert zu werden: YouTube Kanal »Papierblatt«.

Herzlich einladen möchten wir Sie zu den Veranstaltungen:

Gedenken an die Reichspogromnacht am 9. November in Maisenbach.

Sowie Eindrücken und Impulse mit Anatoli Uschomirski am Buß- und Bettag: Wer und was sind messianische Juden? Ein neutestamentlicher Text – jüdisch interpretiert – und „… und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ (Matthäus 6,12).

Holocaustgedenktag – Erinnerungen aus dunkler Vergangenheit

27. Januar 2022 um 19:30 Uhr als Hybridveranstaltung

Ich habe versucht,
durch meine Zeichnungen das auszudrücken,
was meine Welt so dunkel machte.

Die Holocaustüberlebende Ella Liebermann-Shiber dokumentiert nach ihrer Befreiung mit eindrücklichen Bleistiftzeichnungen, was sie als Mädchen zuerst im Ghetto, dann in Auschwitz und auf dem Todesmarsch erlebt hat. Ihre Tochter Ada Waits ist live zugeschaltet im iP-Zentrum in Maisenbach-Zainen und erzählt anhand der Zeichnungen von den erschütternden Erlebnissen ihrer Mutter. Das Werk von Ella Liebermann-Shiber ist pünktlich zum Holocaustgedenktag nun auch in Buchform erscheinen. Herzlich willkommen!

Veranstalter sind die Stadt Bad Liebenzell, der Schuldekan der evangelischen Kirchenbezirke Calw-Nagold und Neuenbürg sowie Zedakah e.V.
Der Flyer zum Download bietet weitere Informationen.

Das Buch kann im J. S. Klotz Verlagshaus Onlineshop versandkostenfrei erworben werden.

Weitere News