Papierblatt – Holocaust-Überlebende berichten

Das Lager Rivesaltes: Ein Reisebericht

Erstellt von Stefan Buchali, 4.9.2025

Das Freigelände der Gedenkstätte.

Ein heißer Wind bläst über die trockene Ebene zwischen Bergen und Mittelmeer. Die Sonne brennt unbarmherzig von einem wolkenlosen Himmel. Man findet kaum Schatten.

Ich stehe auf dem Freigelände des »Mémorial du Camp de Rivesaltes«, das seit 2015 die Geschichte des Lagers in Rivesaltes dokumentiert.

Ein weiter, betonierter Weg führt im Oval an den erhaltenen Baracken vorbei. Per Audioguide, der auch auf deutsch erhältlich ist, erahnen die Besucherinnen und Besucher die Strapazen der Lagerinsassen, die hier schutzlos den harten Wetterbedingungen ausgeliefert waren.
Das Areal kommt mir riesig vor und ist doch nur ein Teil des an sich noch viel größeren Lagerkomplexes.

Die südfranzösische Kleinstadt Rivesaltes befindet sich etwa 30 Kilometer nördlich von Perpignan, unweit der spanischen Grenze. Obwohl die Baracken von der nahegelegenen Autobahn aus sichtbar sind, weist kein Schild auf die Gedenkstätte hin. Beworben wird dort nur das hinter der ersten Bergkette gelegene Weinörtchen Tautavel, das durch die Entdeckung eines Urmenschen in den 1960er Jahren Berühmtheit erlangte.
Zwischen Lager und Autobahn wächst heute ein Industriegebiet empor. Die einzige Zufahrt führt auf komplizierten Wegen hindurch. Offensichtlich ist das Lager der lokalen Politik unangenehm.

Das unterirdische Museum. Im Hintergrund das Freigelände mit den Baracken.
Das Freigelände vom Parkplatz aus.

1923 als Trainingslager für das Militär gegründet, diente das Lager während vier Epochen im 20. Jahrhundert der Unterbringung der »Unerwünschten« – dem Leitmotiv der Dauerausstellung in der Gedenkstätte (»Les Indésirables«), die diese Epochen im unterirdischen Museumsteil dokumentiert.

Von außen ist ebenerdig nur das Flachdach zu sehen. Über eine lange Rampe gelangt man nach unten ins Museum.

Zur Rechten befinden sich Seminarräume, die wechselnde Ausstellungen zu verschiedenen Themen beherbergen und wo regelmäßig Begegnungen, Lesungen, Konferenzen und pädagogische Programme stattfinden.

Links befindet sich die Dauerausstellung: Entlang der zentralen Achse des Museums erfolgt auf großen Tafeln eine geschichtliche Einordnung in den Kontext des 20. Jahrhunderts.
Jeder Epoche ist ein separater Raum gewidmet, mit Informationstafeln, Fotos und vor allem mit Interviews und Zeitzeugenberichten von Überlebenden, die die Besucherinnen und Besucher an einzelnen Stationen anhören können, um deren Situation intensiv nachzuvollziehen. Diese Zeitzeugenberichte wurden eigens für die Dauerausstellung der Gedenkstätte gesammelt.

Nachdem 1939 spanische Bürgerkriegsflüchtlinge untergebracht wurden, nutzte das Vichy-Regime in Frankreich dieses und andere Lager ab 1941 für die Internierung jüdischer Familien und anderer Volksgruppen. Ursprünglich als Vorzeigelager gedacht, erwiesen sich die Bedingungen in Rivesaltes mehr und mehr als katastrophal, so dass man Hilfswerken wie dem Roten Kreuz erlaubte, den Menschen zu helfen.
Infolge der Wannseekonferenz 1942 intensivierte das Vichy-Regime jedoch die Kollaboration mit dem Deutschen Reich. In insgesamt neun Transporten wurden 2.300 Menschen über Paris nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Auf der gegenüber liegenden Straßenseite stehen verschiedene Gedenktafeln.

Am Ende des zweiten Weltkrieges waren bis 1948 Kriegsgefangene interniert.

Von 1962 bis 1964 diente das Lager als Auffanglager algerischer Flüchtlinge nach dem Algerienkrieg, die nach Frankreich umsiedeln wollten.

Zuletzt war es von 1985 bis 2007 ein Abschiebegefängnis. Nach dessen Verlegung nach Perpignan übernahm wieder das französische Militär das Areal.

Am 16. Oktober 2015 wurde auf einem Teil des Geländes die Gedenkstätte eröffnet, die am Ende der Ausstellung den Fokus auf die heutige Zeit und heutige Konflikte richtet. Auch im 21. Jahrhundert sind Zwangsvertreibung und Lagerinternierung eine Realität, für die die Gedenkstätte anhand der Geschichte des Lagers in Rivesaltes die Augen der Besucherinnen und Besucher öffnen möchte.

Infobox: Vichy-Frankreich

Zu Beginn des zweiten Weltkriegs besetzte Deutschland 60% von Frankreich.

Im nicht besetzten Süden entstand das sogenannte Vichy-Frankreich. Es hieß so, weil die Regierung in der Stadt Vichy ihren Sitz hatte.

Der Französische Marschall Pétain führte dort die Regierung. Er arbeitete mit den Nationalsozialisten zusammen. Die Mehrheit der Franzosen war für diese Zusammenarbeit, da man sich davon Vorteile versprach. Vichy-Frankreich war damit auch aktiv in der Verfolgung von Juden.

Besuchsinformationen

Mémorial du Camp de Rivesaltes
Avenue Christian Bourquin
66600 Salses-le-Château

www.memorialcamprivesaltes.eu

Google Maps

Zeitzeugin Amira Gezow (1930 - 2020)

In ihrem Zeitzeugenbericht schildert Amira Gezow die Situation im Lager und ihre Befreiung

1:05:05 - 1:22:28

Amira Gezow: Rivesaltes

Das vollständige Video inklusive Biografie von Amira Gezow finden Sie hier.

Sie kommt auch an einer der Stationen im Museum zu Wort.

Quellen

https://de.wikipedia.org/wiki/Camp_de_Rivesaltes

https://de.wikipedia.org/wiki/Vichy-Regime#Judendeportationen