Endlich stach die Enzo Sereni am 7. Januar 1946 von Vado Ligure aus in See. Die Überfahrt sollte neun Tage dauern. Eine Herausforderung dabei stellten die Seeminen entlang der italienischen Küste dar, die noch nicht geräumt waren. Aus Furcht vor den Briten durften immer nur wenige der Passagiere an Deck, solange das Schiff der Küste entlangfuhr. Erst als sie auf offener See waren, war es mehr Personen erlaubt an Deck zu gehen und die frische Luft zu genießen.1 Doch auch dort war nicht viel Platz und es wehte ein kalter Januarwind. Überall auf dem Schiff war es extrem eng. Wer konnte, lag auch tagsüber auf den Hängematten. Aufgrund der knappen Lebensmittelvorräte stieg der Hunger, einige Passagiere drohten zu dehydrieren. Viele wurden seekrank und mussten sich übergeben. Von Tag zu Tag wurde die Situation unerträglicher. Die drei Palyam-Mitarbeiter waren angesichts der Menge der Passagiere überfordert. Unter den Auswanderern befand sich eine Gruppe ehemaliger Partisanenkämpfer, die ihre Hilfe anbot. Die jungen, kräftigen Männer schafften es, die Lage zu beruhigen, sodass die Überfahrt den Umständen entsprechend erträglich verlief.
Die Schiffsroute2 führte der italienischen Westküste entlang Richtung Süden, vorbei an Korsika und durch die Straße von Messina/Sizilien. Weiter ging es in einem großen Bogen nach Nordosten, vorbei an Kreta, nördlich um Zypern herum und dann südlich auf Erez Israel/Palästina zu. Geplant war, dass das Schiff bei Nacht in Netanja anlegen sollte, doch der Zielhafen wurde zunächst auf Cäsarea geändert, dann auf den Süden von Tel Aviv. Aufgrund des defekten Navigationsgeräts beschlossen Zalman Perach und Gad Lasker zur Orientierung näher an die libanesische Küste zu steuern.
Am achten Tag der Reise, am 15. Januar, traf ein Telegramm auf der Enzo Sereni ein, in dem sie aufgefordert wurden, sechs Tage lang auf offener See zu warten, da die Briten in den zurückliegenden Tagen zwei Schiffe für illegale Einwanderer aufgebracht hatten. Die Briten hätten allerdings keine Gefangenen machen können, da die Einwanderer bereits von Bord gegangen waren und die leeren Schiffe wieder vom Ufer abgelegt hatten. Als Konsequenz verstärkten die Briten jedoch ihre Patrouillen entlang der Küste zu Wasser und in der Luft. Ein weiteres Problem war der Vollmond, der die Nächte zu hell machte. Allerdings konnte die Enzo Sereni nicht länger warten. Sie meldeten zurück, dass drei Passagiere schwer erkrankt wären und die Lebensmittel- und Wasservorräte zur Neige gingen.
Am folgenden Tag, am 16. Januar, bemerkten sie um 8 Uhr morgens ein britisches Aufklärungsflugzeug, das am Himmel über ihnen kreiste und wieder verschwand. Wahrscheinlich hing es damit zusammen, dass sie wegen des defekten Navigationsgeräts zu nah an die Küste gesteuert waren. Was wird geschehen?
Zum ganzen Kapitel:
Josef Zwi Halperin, Der Weg in die Freiheit 1945 – 1946, 1996 (Hebräisch).
Zalman Perach, This is the Way it Was, gesammelt und niedergeschrieben von Dita Perach, ohne Jahr, vgl. http://www.palyam.org/English/IS/Perach_Zalman.pdf (13.06.2020).
The Voyage of the »Enzo Sereni«, zusammengestellt von Tzvi Ben Tzur, ohne Jahr, vgl. http://www.palyam.org/English/Hahapala/hf/hf_Ancho.pdf (13.06.2020).
1Abb. 1: Josef Zwi Halperin (?), aus Archiv Kibbuz Gescher; abfotografiert von Timo Roller, 2019. Das Foto findet sich auch in: Josef Zwi Halperin, Der Weg in die Freiheit 1945 – 1946, 1996, Bild Nr. 57, ohne Seitenzahl (Hebräisch).
2Abb. 2: NordNordWest, eigenes Werk unter Verwendung von Daten aus World Data Base II, 2010, CC BY-SA 3.0 DE, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mediterranean_Sea_location_map.svg (23.01.2020). Ländergrenzen Stand 2010; Schiffsroute eingezeichnet von Thorsten Trautwein.
Autor: Thorsten Trautwein, 02.08.2020